Teil 3: Der Wendepunkt – wenn Herz, Hirn und Hand wieder zusammenspielen
- Rebekka Bachmann

- 23. Aug.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Aug.

👉 Dies ist Teil 3 einer 4-teiligen Serie. Wenn du lieber alles am Stück lesen möchtest, findest du hier den vollständigen Langartikel als PDF: «Warum das «Warum» dich nicht weiterbringt.»
Was wirklich passiert
Eigentlich ist es ziemlich simpel: Was ich oben beschrieben habe, ist nichts anderes als Biologie.
Unser Nervensystem kennt drei uralte Überlebensstrategien: Fight, Flight, Freeze. Sie stammen aus der Zeit, als unsere Vorfahren noch vor Säbelzahntigern und anderen Räubern reissaus nehmen mussten. In solchen Momenten schaltet der präfrontale Kortex – zuständig u.a. für rationales Denken – ab, und das Stammhirn übernimmt. Sekundenbruchteile entscheiden: Kämpfen? Fliehen? Tot stellen? Damit verbunden fährt der Körper sofort auf Notfallbetrieb: Wählt unser System Kampf oder Flucht, steigt der Blutdruck, die Muskeln spannen sich an, die Atmung beschleunigt, die Pupillen weiten sich. Erscheinen beide Varianten nicht praktikabel, setzt die Totstell-Strategie ein. Wir frieren ein. Punktgenau und genial ausgestattet – zumindest wenn es um akute Gefahr geht.
Heute gibt es keine Säbelzahntiger mehr – und doch reagiert unser Nervensystem immer noch genau gleich wie damals. Unabhängig davon, welche technischen Fortschritte wir errungen haben: unsere Biologie ist gleich geblieben. Ohne Bewusstsein reagiert sie automatisch auf jede reale oder gefühlte Gefahr. Sie macht keinen Unterschied zwischen Tiger und Briefkasten (oder Postfach oder Kalender). Sie kennt nur zwei Zustände: Gefahr oder Sicherheit.
Doch warum ist das so?
Und ja – jetzt tauchen wir doch kurz in ein «Warum» ein 😉. Einfach, um zu verstehen, welche Mechanismen in uns wirken. Versprochen: Ich bleibe nicht lange dort.
Was uns heute in Alarmbereitschaft versetzt, hat meist mit alten Erlebnissen zu tun. Es sind Entwicklungs- oder Schocktraumata, die uns irgendwann signalisierten: Ich bin in Gefahr. Wenn ein Erlebnis so überwältigend war, dass unsere normalen Bewältigungsstrategien versagten, übernahm das körpereigene Stressverarbeitungssystem die Regie – und speicherte den Schrecken direkt im Körper, bis auf Zellebene.
Gedanklich können wir uns daran oft nicht erinnern, gerade wenn diese Erfahrungen in der Kindheit stattfanden. Das «Vergessen» ist sogar sinnvoll: es schützt uns davor, diesen Schrecken noch einmal bewusst durchleben zu müssen.
Doch im Gegensatz zu unserem Gehirn erinnert sich unser Zellgedächtnis ein Leben lang. Es trägt die Spuren weiter – auch dann, wenn wir sie kognitiv längst «vergessen» haben. So kann es passieren, dass später, im Erwachsenenleben, ein Wort, ein Duft oder ein Gegenstand genügt, um unser Zellgedächtnis zu aktivieren – und unser gesamtes System sofort wieder in Alarmbereitschaft zu versetzen. Der Kopf vergisst. Der Körper nicht.
Diese Verknüpfungen zwischen «Damals» und «Heute» sind selten logisch nachvollziehbar. Ich verstehe bis heute den Zusammenhang zwischen meinen Monstern und der erlebten Gefahr als Kind nicht. Und dennoch wirkt in mir irgendetwas. Und genau das macht es so schwer, die Muster rein kognitiv aufzulösen. Denn unser Verstand ist nicht das richtige Werkzeug, um den, im Körper gespeicherte, Stress, zu lösen. Es ist der Körper, der dies tun kann.
Das Gute ist: Du kannst heute schon selbst viel tun, um deinem Nervensystem Sicherheit zu geben.
Und doch gilt: Wenn der Stress zu gross wird oder du merkst, dass du alleine nicht weiterkommst, dann hol dir Unterstützung. Am besten in Form von körperzentrierten Therapien oder Coachings, die nicht nur kognitiv arbeiten, sondern den Körper mit einbeziehen. Denn genau dort sitzen die Erinnerungen – und genau dort darf die Heilung ansetzen.
Viele klassische Ansätze setzen auf verstandes-orientierte Analyse: die Vergangenheit verstehen, Prägungen bewusst machen, daraus Bausteine für die Zukunft entwickeln. Das ist nicht falsch – und der Verstand kann und soll unbedingt an solchen Prozessen beteiligt sein. Die Gefahr bleibt, dass wir – mangels Alternativen – einseitig im Analysieren verharren, dort tiefer graben, neuen Ballast finden und uns erneut im Kreis drehen. So sorgen wir im schlimmsten Fall dafür, dass wir uns retraumatisieren, weil wir gedanklich immer wieder ins Drama zurückgehen und unser System erneut unter Schock setzen.
Darum gilt: Es ist sinnvoll, die hinderlichsten Prägungen (Codierungen) aufzudecken. Sobald wir sie erkannt haben, reicht es. Dann brauchen wir keine weiteren Geschichten, sondern Tools, die uns helfen, die alten Codierungen zu entkoppeln – und uns im «Hier und Jetzt» neu zu programmieren. Mit unserem Verstand UND unserem Körper. Denn die Körperintelligenz weiss sehr genau, wie sie die abgespeicherten Traumata lösen kann. Wenn wir sie lassen. Und genau das meine ich, wenn ich schreibe «mangels Alternativen». Ich hatte lange keinen Zugang – weder zu meinem Körper noch zu meiner Körperintelligenz. Seit ich wieder Zugang zu meinem Körper habe, kann ich endlich anders handeln.
Der grosse Stolperstein
Eigentlich wären wir hier jetzt fertig. Denn die alten Codierungen sind aufgedeckt und die Tools im Einsatz, um uns mit dem «Neuen» zu füllen, – sei es Erfolg, Gesundheit, Liebe, Geld oder was auch immer wir uns wünschen.
Und doch passiert es: Trotz all des Wissens, trotz Erkenntnis und Integration, bleiben wir stecken. Wir fallen zurück in alte Muster. Warum 😅 (ok ein letztes Mal, versprochen!). Auch hier steckt ein Mechanismus dahinter. Veränderung – selbst wenn wir sie uns von Herzen wünschen – fühlt sich für das Nervensystem manchmal so fremd an, dass es das Neue ablehnt. Es greift lieber auf alte Erfahrungswerte zurück.
Wenn unser System einmal gelernt hat, dass Schmerz zwar unangenehm ist, wir mit ihm aber überleben, dann wählt es unbewusst immer wieder den Schmerz. Nicht, weil er gut ist oder wir Masochistisch veranlagt wären, sondern weil er vertraut ist. Denn unser Nervensystem ist auf eines ausgerichtet: Sicherheit. Es wählt Sicherheit vor Glück, vor Erfolg, vor Wachstum.
Vielleicht fragst du dich, warum Menschen in Beziehungen bleiben, die ihnen nicht guttun. Oder warum Change-Prozesse im Unternehmen immer wie ein endloses Überzeugungsprojekt wirken. Hier hast du eine mögliche Antwort dazu.
Die Erkenntnis
Ein Gedanke, der blieb
2016 in «East Sandwich» auf Cape Cod (Massachusetts, USA). Ich, allein im Urlaub, Meeresrauschen, Lobster Rolls – und Dale Carnegie's Buch «Sorge dich nicht – lebe» in der Hand. (Ja, ich bin die Sorte Mensch, die statt Strandroman Psychologie-Bestseller am Atlantik verschlingt. 🙃)
Eine der Kernaussage lautet: «Sorgen sind wie ein Schaukelstuhl: sie halten dich beschäftigt, aber bringen dich nirgends hin. Grübeln allein bringt nichts. Analysieren ja – aber nur, wenn danach eine Entscheidung und eine Handlung folgt.» Damals lag ich am Atlantik auf meinem Strandstuhl und habe über diesen Satz «gegrübelt» 😆 Erst heute verstehe ich wahrhaftig, wie lange ich in meinem eigenen Schaukelstuhl sass und mich mich mit meinen Monstern beschäftige. Ich beleuchtete sie von allen Seiten, suchte noch mehr Theorien und Puzzlestücke – und machte sie dadurch nur grösser, grotesker und unheimlicher. Genau diesem Irrtum bin ich jahrelang aufgesessen. Ein Irrtum, den auch viele Coachings, Beratungen und spirituelle Konzepte weitertragen: «Wenn es noch weh tut, dann hast du das richtige Puzzlestück noch nicht gefunden.»
Bullshit.
Die Wahrheit ist: Wenn es immer noch weh tut, dann habe ich das richtige Puzzlestück möglicherweise sehr wohl längst gefunden – nur mein Nervensystem hat es noch nicht integriert. Und genau hier entscheidet sich, ob wir stecken bleiben oder frei werden.
Es geht also nicht darum, die Vergangenheit in Endlosschlaufen zu analysieren. Es geht darum, unserem Nervensystem im Hier und Jetzt beizubringen: «Du bist sicher. Heute. Hier. Jetzt.»
Wir dürfen lernen, das «Heute» vom «Damals» zu entkoppeln, nicht in dem wir das Alte bekämpfen und damit nähren, sondern indem wir uns bewusst und selbst führen. Indem wir wahrnehmen: «Ah… interessant... da bist du ja wieder. Ich sehe dich und ich fühle dich. Und jetzt entscheide ich mich für einen anderen Weg.»
Das ist der Wendepunkt:
Nicht tiefer bohren, sondern Stabilität üben. Nicht mehr Erklärungen suchen, sondern Atemräume schaffen. Kleine Beweise für Sicherheit, wieder und wieder. Und das beginnt fast immer im Kleinen: ein Atemzug, ein kurzer Moment von Präsenz, ein Mini-Schritt im Alltag. Je öfter wir das üben, desto klarer wird: Wir sind sicher. Wir finden zurück zu uns – und endlich sitzt wieder der Teil am Steuer, der Pläne schmieden kann, statt groteske Monster zu malen. Und gleichzeitig kommt auch unser Herz zurück ins Boot. Es spürt wieder Sicherheit, kann sich öffnen – und zusammen mit dem klaren Kopf entsteht Kohärenz. HIRN und HERZ gehen in Resonanz – und daraus erwächst echte HANDlungsfähigkeit.“
Die Einladung
Wenn du ein Overthinker bist, wenn du schon ein Burnout hattest oder kurz davor bist, wenn du dein Leben behandelst wie ein endloses Projekt, das du erst fertig analysieren musst, bevor du endlich frei sein darfst – dann ist das hier dein Reminder:
Hör auf, immer tiefer ins Problem einzutauchen. Fang an, dein Nervensystem zu beruhigen.
Steh auf aus deinem Schaukelstuhl. Vielleicht machst du einen Spaziergang. Vielleicht hörst du ein Lied, das dich sofort herausholt. Vielleicht ist es Zeit für Humor. Oder vielleicht geniesst du einen Sonnenaufgang, das Vogelgezwitscher oder das Streicheln deines Haustieres.
Am Ende ist es egal, wie du es machst – entscheidend ist, dass du nicht mehr das «Warum» fütterst, sondern das «Wie jetzt».
Denn wahre Freiheit liegt nicht im Verstehen der Vergangenheit. Sie liegt in der Sicherheit, die du dir heute gibst.
👉 So! Genug Theorie – jetzt wird’s endlich praktisch. Weil Monster nicht mit Grübeln verschwinden, sondern mit echten Beweisen für Sicherheit. Im Artikel 4 findest du Mini-Übungen, die dich sofort runterholen. Versprochen: keine Esoterik, keine komplizierten Methoden – nur Tools, die wirken.




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